Zeit sei Geld, wurde uns einst erzählt. Das war zu einer Zeit, als man noch Zeit sparen wollte, um mehr arbeiten zu können, um mehr konsumieren zu können, um mehr Freizeit zu haben. Das hat alles hat nicht unbedingt Sinn gemacht, und das industrielle Zeitalter ist an sein Ende gekommen.
Unterdessen wandelt sich der Instantburger zurück zum slow food, während der behäbige Fünfjahresplan durch die fünfminütige Kreativkonferenz abgelöst wird. Welche Strategien und Potenziale sich aus diesen neuen Zeitformen ergeben, das fragen wir uns mit unserem neuen Gesellschaftslabor zur Postindustrialität.
Wir haben den Verein motoco in Frankreich gegründet, weil hier eine für uns fremdartige Zeit herrscht. Bereits die ausgeschriebene Interpretation unseres Vereinsnamens als «more to come» deutet an, dass wir uns gerne überraschen lassen, im grenzenlosen Vertrauen auf das Kommende. Solch eine offene Haltung fällt in einem Land der grossartigen, langfristigen Pläne auf, sie wirkt hier so befreiend wie verunsichernd, so dass noch jeder Zeitungsartikel über uns dies erwähnt hat.
Im Herbst 2012 haben wir in Mulhouse ein Fabrikgelände gefunden, wo vor zwölf Jahren noch mehr als zehntausend Leute arbeiteten. Heute ist dies alles verlassen und von der Stadt übernommen worden. Bereits sind die Blitzableiter der Gebäude mit ihren total 100’000 m2 als Altmetall geklaut worden, und Tauben haben sich in vielen Räumen eingenistet. Trotz des so schlechten Zustands fassen wir den Entschluss, zuerst das eine Gebäude zu mieten und bald danach das gesamte Gelände zu übernehmen.
Der glückliche Zufall, dass ein grenzüberschreitendes, trinationales Kulturförderprogramm gestartet wird, hilft uns weiter. Wir melden unsere Gründungsabsicht eines Gesellschaftslabors zur Postindustrialität an, was uns eine minimale Anschubfinanzierung bringt, und die Tauben müssen nun weichen.
Im Mai 2013 veranstaltet ein Diplomstudent von HyperWerk auf dem Gelände mit dem «Makershop» eine erste Ausstellung zu alternativen Produktionsformen. Im Juni verteilen wir einen Comic in der Kreativszene von Mulhouse, mit dem wir über unsere Absichten berichten und dass wir bald spottbillige Ateliers für engagierte Kreative anzubieten haben. Im September 2013 mieten wir dann als Verein ein erstes Gebäude von 10’000 m2, das bereits nach sechs Wochen an lauter kreativ tätige Nutzer voll untervermietet ist.
Eigentlich hat niemand damit gerechnet, dass solch ein Umschwung in so kurzer Zeit möglich wäre. Als Zwischennutzung für das trinationale Kulturprogramm wollte die Stadt uns eigentlich nur ein Gebäude zur Verfügung stellen. Nun sieht sie sich plötzlich mit einem seriösen Mieter für das gesamte Gelände konfrontiert. Die Gebäude ensprechen zwar noch keiner heutigen Bauvorschrift, der Strom ist in nicht mehr akzeptabler Weise verlegt, das Wasser muss im Winter abgestellt werden, weil es sonst einfriert, und die Toiletten funktionieren nur im EG. Da die Stadt kein Geld für all die notwendigen Reparaturen hat, lässt sich der mutige Bürgermeister auf viel ein. Dank unseren kompetenten Mietern können wir die Reparaturen und Installationen für eine provisorische Betriebsaufnahme mit unseren eigenen Mitteln durchführen, und wir binden damit auch unsere Mieter im Aneignungsprozess ein.
Während mehr als zehn Jahren sind urbanistische Studien zur Entwicklung unseres Geländes resultatlos durchgeführt worden; sie wirken so weltfremd, als ob die Planer noch nie das umliegende Quartier mit seinen mehr als 30% Jugendarbeitslosigkeit besucht hätten. Ebenfalls wurde ein Umbau für Kreativzwecke versucht, aber der ist dann voll am Markt vorbeigegangen, der Charme war weg und der Preis zu hoch, und unterdessen finden sich Schusslöcher in den Scheiben der leerstehenden Ateliers.
Wir haben unseren Überraschungserfolg genutzt und dank monatlich veranstalteten «open houses» viel Öffentlichkeit gewonnen und breitgestreute Medienberichte erhalten. Dabei hat auch unser Mix von Handwerk, Medienarbeit, Unternehmertum und freier Kunst geholfen, haben wir doch unsere Mieter nicht nach ihrer künstlerischen Befähigung ausgewählt, denn wir wollen keine passive Kunst-Galerie, sondern ein aktives Gesellschaftslabor sein. Der Kompetenzmix der vielfältigen Mieter hat die pragmatischen Erneuerung unserer Industriebrache enorm erleichtert.
Aktuell geht es erfolgreich voran: Die Stadt investiert eine Million Euro in unser erstes Gebäude, um es den Vorschriften anzupassen, und wir erhalten die ganzen 100’000 m2 des Areals, um unser Vorhaben openparc umzusetzen. Dazu gründen wir in den kommenden Wochen vier weitere Vereine, die jeweils einen Verantwortungsbereich im openparc übernehmen sollen: nämlich für Gastfreundschaft, Fabrikation, Medienproduktion und den experimentellen Freizeitpark playerpiano. Seine Installationen werden von der Zukunft der Arbeit unter den Vorzeichen der Post-Industrialität handeln. Mit dieser Aufgabenstellung rund um «new work» wollen wir uns eine Einkommensquelle sichern, und gleichzeitig eine interdisziplinäre Forschungsplattform zu Design, Interface und Marketing aufbauen, sowie eine populäre Vermittlungsform erarbeiten.
Als Einstieg in dieses Vorhaben, das wir kürzlich als EU-Forschungsprojekt eingeben haben, werden wir im Sommer 2015 ein Dutzend leerstehender Ladengeschäfte in der nahen Einkaufsstrasse, Avenue Aristide Briand, für einige Monate als Testlauf wieder eröffnen.
Wenn ich nun die beiden Pole unserer neuen Welt in Mulhouse verständlich zu machen versuche, dann sehe ich darin die gegenläufigen Bewegungen im strategischen Umgang mit unserer postindustriellen Zeit. Infolge ständig zunehmender Beschleunigung ist die Verkürzung des Planungsprozesses angesagt, wozu sich unsere flexiblen bottom up Prozesse besonders eignen. Unterdessen kann ich mir kaum mehr vorstellen, wie man mit einer längerfristigen angelegten Planung überhaupt noch erfolgreich sein kann. Sinnvoll bleibt siicherlich die Formulierung einer längerfristigen Vision, um so einen Orientierungsvektor in der immer ungewisseren Welt zu etablieren. Doch auch solch eine «Vision», die hier bewusst in Anführungszeichen gesetzt wird, sollte misstrauisch beobachtet werden und modifizierbar bleiben. Geschehen kann dies mittels dem begeisternden Instrumentarium der Wissengesellschaft und dem permanenten Scouting nach sich ständig neu eröffnenden Optionen.
Unternommen wird dieses Projekt transbazar zusammen mit mehreren Berufsschulen, Kunstakademien und Universitäten der Region, die jeweils ihr eigenes Ladengeschäft betreiben werden. Auf dieser Plattform werden wir unsere Installationen zu neuartigen Konsumformen zeigen und erproben, die alle die «Instant Spectacular Fabrication» verfolgen werden. Der oft lieblose Konsumakt soll zum eindrücklichen Erlebnis werden, mit dem man überraschende Formen einer sofortigen Herstellung von Gütern erleben kann.
Wenn ich nun die beiden Pole unserer neuen Welt in Mulhouse verständlich zu machen versuche, dann sehe ich darin die gegenläufigen Bewegungen im strategischen Umgang mit unserer postindustriellen Zeit. Infolge ständig zunehmender Beschleunigung ist die Verkürzung des Planungsprozesses angesagt, wozu sich unsere flexiblen bottom up Prozesse besonders eignen. Unterdessen kann ich mir kaum mehr vorstellen, wie man mit einer längerfristigen angelegten Planung überhaupt noch erfolgreich sein kann. Sinnvoll bleibt siicherlich die Formulierung einer längerfristigen Vision, um so einen Orientierungsvektor in der immer ungewisseren Welt zu etablieren. Doch auch solch eine «Vision», die hier bewusst in Anführungszeichen gesetzt wird, sollte misstrauisch beobachtet werden und modifizierbar bleiben. Geschehen kann dies mittels dem begeisternden Instrumentarium der Wissengesellschaft und dem permanenten Scouting nach sich ständig neu eröffnenden Optionen.
Angesichts der Ressourcen-Verknappung sind neue Formen der postindustriellen Herstellung und Verteilung von Konsumgütern in Europa notwendig. Die neuen Produkte sollen hochwertiger und für eine längere Lebensdauer ausgelegt sein, und sie sollen Technologien und menschliche Arbeitskraft kreativ nutzen. Dies geschieht in der Recherche von openparc durch die Abkehr von der herkömmlichen industriellen Verflachung der Zufälle und Eigenheiten, die durch die bisherige Notwendigkeit von standardisierten Ausgangsmaterialien notwendig wurde. Nun ist es an der Zeit,, dass diese im Kontext postindustrieller, reaktiver Technologien nicht mehr nivelliert, sondern durch generative Algorithmen verstärkt werden. Nehmen wir uns doch das Vorbild japanischer Keramik, in der bewusst die Aufwertung provozierter Zufälle im Zentrum der Wertschöpfung steht. So wollen wir uns beispielsweise mit dem Potenzial von Astgabeln befassen, deren genetisch optimierte Formen als Verbindungselemente genutzt werden sollen. Dies bedingt eine Umdrehung der Wertschöpfungkette, bauen wir dazu doch auf der Werdenszeit der Materie auf, die wir durch generative Algorithmen extrapolierend weiterführen. Wir beginnen also nicht mehr mit der dünnen Behauptung einer Stunde Null, sondern verankern unseren Beitrag in einen weit über unser Tun hinausreichenden Zeitfluss. Wegkommen wollen wir von der industriellen Abschaffung des Gewachsenen, weg vom verflachten Halbprodukt, hin zu einem neuen Zusammenwirken von Digitaltechnologie, Mehrachsbearbeitung, Handwerk und gewachsener Materie.
In Verbindung mit der Aufwertung des banalen Einkaufs zum spektakulären Erlebnis von Fabrikation in Echtzeit, kommt die Umwandlung vieler Vorgänge der Wertschöpfung auf uns zu. Nach zweihundert Jahren der industriellen Optimierung dürfen wir nun Fabrikationsformen und Geschäftsmodelle suchen, die uns länger und intensiver mit einer höheren Wertschöpfung an weniger Materie zu arbeiten erlauben. Dass dies heute möglich wird, darin besteht das schönste Geschenk der aktuellen Technologie. Wir sollten mehr Respekt gegenüber den Zeiträumen und Geschehen aufbringen, die sich in der gewachsenen Materie abbilden, diese aufnehmen und weiterführen. Dies alles wirkt überfordernd, doch kommt dieser fundamental shift, bevor es zu spät geworden ist. Entsprechend handeln, das sollten wir allerdings schon.