Ein Prozess, geprägt von Entwicklungswartezeiten und Einschränkungen: Für die Filminstallation WHAT COMES COMES am Open House hat HyperWerk-Diplomand Silvan Rechsteiner mit analogem Super-16-mm-Film gearbeitet. Im September ist die Installation in der Heiliggeistkirche erneut zu sehen.
21:20 Uhr. Letzte Besprechungen am Abend vor dem Dreh. Golden verpackt liegen die beiden 16-mm-Filmrollen auf dem Tisch, inmitten von zahlreichen Fotos. Zwei Tage lang war das Team von Silvan Rechsteiner bei der Langen Erle unterwegs. Aus zahlreichen Standbildern entwickelten sie dann ein visuelles Konzept. Im Zentrum des Interesses: Das Gefängnis Bässlergut. Morgen sollen die 240 Meter Schmalfilm mit Bildern der einschüchternden Fassade und der tristen Nebenschauplätzen belichtet werden.
Hinter den Hochsicherheitsmauern des Gefängnisses Bässlergut in Basel leben dreissig Männer in Ausschaffungshaft, der sogenannten Administrativhaft. Sie wurden von der Fremdenpolizei wegen fehlender Aufenthaltsbewilligungen festgenommen und sollen ausgeschafft werden. Bis es so weit ist, wird durch die Inhaftierung sichergestellt, dass sie weder untertauchen noch weiterreisen – bis zu achtzehn Monate müssen sie hier auf ihre Ausschaffung warten.
7:15 Uhr. Morgengrauen. Es nieselt. Das Filmteam steht vor dem Gefängnis an der Freiburgerstrasse. Silvan hält den Belichtungsmesser vor die Linse. «Blende 1.4. Wir drehen.» Inti drückt den roten Knopf an der Seite des Gehäuses. «Kamera: läuft!» Exakt 30 Sekunden rattert es. 24 Bilder pro Sekunde werden auf dem Film belichtet. «Schnitt!» – die Filmeinstellungen und ihre Dauer sind genau geplant.
10:53 Uhr. Fünf Einstellungen sind im Kasten und zwei wärmende Becher Kaffee getrunken. Der Blick auf die Fuss-Anzeige lässt Silvan stutzen: «Kann es sein, dass wir erst bei 20 Fuss sind?» Ungewissheit: Läuft der Film überhaupt durch die Kamera? Ist die Aufnahme der Gefängnisfassade vom frühen Morgen verloren? Blind auf das vermeintlich Festgehaltene zu vertrauen ist nicht mehr möglich. Silvan und Inti überprüfen das Abrollen des Films. «Alles gut. Nur die Anzeige am Magazin ist defekt.» Vollends beruhigt wird das Team aber erst in drei Wochen sein können, wenn der entwickelte Film aus dem Kodak-Labor in London zurück und eingescannt auf dem Bildschirm zu sehen ist.
Warum analog drehen in einer Zeit, in der die Bildsensoren von Jahr zu Jahr leistungsfähiger und kleiner werden? «Mit einer analogen Kamera zu arbeiten ist teilweise einschränkend, zwingt uns aber gleichzeitig dazu, aufmerksam hinzuschauen, zu komponieren und selektiv zu sein – es ist nicht möglich, das Bild auf dem Set anzuschauen», erklärt Silvan.
Trotz der nahezu unbeschränkten digitalen Möglichkeiten werden manche Kinofilme noch immer auf Zelluloid gedreht. Meist sind es ästhetische Gründe: Jeder analoge Filmstreifen hat eine eigene Farbgebung und eine spezifische Körnung. «Selbstverständlich können diese Charakteristiken in der digitalen Postproduktion künstlich eingearbeitet werden. Für mich war bei der Wahl der analogen Kamera ausschlaggebend, dass sie meine Arbeitsweise verändert. Wir mussten uns beim Dreh für die Bilder entscheiden und standen im Schnitt nicht vor einer enormen Menge an Material.»
Sich von Neuem bewusst zu werden, wie Film eigentlich entsteht – auch darum geht es Silvan und seinem Team bei der Arbeit mit der 16-mm-Kamera. «Wir haben die analoge Arbeitsweise dennoch mit der modernen digitalen kombiniert. Wir haben den entwickelten Film scannen lassen und somit die Kontraste nach der Montage noch leicht korrigiert.»
Auf der Leinwand ist 7:15 Uhr. Morgengrauen. Fünfzehn Minuten lang zeigt die Filminstallation WHAT COMES COMES die Fassade des Gefängnisses Bässlergut – im Verlauf der Tagesstunden und Lichtstimmungen. Es nieselt. Grelle Scheinwerfer beleuchten die Fassade. Der gesamte Zaun wie auch die stählernen Rolltore sind mit Stacheldraht bewehrt. Unaufhörlich und immergleich das Rauschen des Verkehrs auf der Freiburgerstrasse. Die Gräser am Bordstein rascheln im Wind, sogleich übertönt von einem vorbeizischenden Zug. Die Zeit scheint stillzustehen. Im Gefängnis gleicht ein Tag dem anderen. Unbehagen beschleicht jene, die sich länger im Ausstellungsraum aufhalten, konfrontiert mit dem Filmbild und wissend, dass in diesem Gebäude Menschen festgehalten werden, die keine Straftat begangen haben. Die Installationsbilder sind streng komponiert; karg, unmenschlich und unbelebt wirkt dieser Ort. Hinter den Betonmauern und Gittern ist aber doch Leben: das jener Menschen, die manche Schweizer Bürger*innen nur ungern als Mitglieder unserer Gesellschaft sehen. Der Tag im Bässlergut neigt sich dem Ende zu. Manche Installationsbesucher*innen bleiben gedankenversunken auf der Holzbank sitzen, bis der Videoloop von vorne beginnt. Zelleneinschluss. 17:00 Uhr.
Gewollte Unschärfe ist das, was entsteht, wenn Hyperwerker*innen mal nicht am Computer sitzen. Gewollte Unschärfe entschleunigt und bereichert den Gestaltungsprozess in einer ansonsten hochaufgelösten, marktoptimierten Designumgebung.