Basel – Thessaloniki mit dem Zug

37h Zugfahrt – ein Weg

Im fernen Thessaloniki steht eine grosse, ungenutzte Halle: Das LABattoir. Verschiedenste Institute, unter anderem das HyperWerk, möchten dort eine Plattform schaffen, um das gängige Verständnis von Arbeit zu hinterfragen und Selbstorganisation zu fördern. Diese Themen sind in einem Krisenland wesentlich akuter als bei uns. Weil ich glaube, dass uns Einwohnern der Schweiz in Zukunft ähnliche Probleme bevorstehen und ich grosses Lernpotential in diesem Projekt sehe, möchte ich die Chance nutzen, daran mitzuwirken. Doch wie komme ich eigentlich dort hin?
Mit einer Tasche Essen und Bier, einem kleinen Rucksack voll Kleidern und einem Notizbuch sitze ich im Zug nach Belgrad. Ich bin nicht alleine: Jannis, Jasper und Simon haben sich aus unterschiedlichen Gründen auch für das langsamere, dadurch anstrengendere und mühsamere Vehikel entschieden. Für die einen zählt das Erlebnis, gemeinsames Interrailreisen – ein kleiner Balkantrip. Andere sprechen von Entschleunigung; du sollst dir Zeit nehmen für solch ein Unterfangen. Bei mir steht der ökologische Aspekt im Vordergrund. Vier Stunden Flug wären da schon erträglicher, doch meine Ansprüche an mich selbst sind mittlerweile so hoch, dass ich es nicht mit mir vereinbaren kann, für zwei Wochen auf dem gleichen Kontinent, Tonnen an CO2 in die Atmosphäre zu schleudern. Du merkst es vielleicht: Mir fiel die Entscheidung, ob ich nach Thessaloniki soll, schwer.
„Dieser Zug fährt nicht mehr weiter, ihr müsst im Bus nach Villach.“ Diese Worte lassen mich um 6 Uhr morgens, nach einer Nacht in einem vollen Sitzabteil und kaum Schlaf, beinahe umkehren. Doch nach einem langen Morgen im tristen Villach läuft alles reibungslos.
Dieselben Züge wie hier auf dem Balkan fuhren vor 20 Jahren durch Zentraleuropa; die Zugbegleiter tragen Finken, und ab Belgrad lassen sie dich im Zug rauchen. Im 90er-Flair bummeln wir durch den Rest des Balkans, scherzen über Leute, die mit dem Fahrrad im Nirgendwo die Gleise überqueren, und quatschen mit unserem Berliner Abteilgenossen über DDR-Züge, Post-Industrialismus und Anarchie.
Nach 50 Stunden – 37 davon im Zug, einem Morgen in Villach und einer Nacht im Hostel in Zagreb – stehen wir am heruntergekommenen Bahnhof von Thessaloniki.