#2 Der Schutzsichthelm
Futuristisch mutet er an. Aber auch animalisch, einem Dinosaurierkopf nicht unähnlich. Irgendwie nicht von unserer Welt; ein Helm, wie er nur von einem Designer entwickelt werden kann, der sich gänzlich von der form-follows-function-Ideologie verabschiedet hat.
Alufolie, an einigen Stellen bereits stark zerknittert und angerissen imitiert eine metallische Schale. Ein schmales Band – in allen Farben, vor allem aber Magenta schillernd – bietet knapp unter der Augenhöhe eine Art Visier; Ein Sichtschutz, viel mehr aber ein Schutz der Sicht vor dem Sichtenden, denn der Ausblick ist beschränkt. Eingerahmt wird das Visier, das wie der Schnabel eines Hadrosaurieden die Helmform in die Länge zieht, von hellgrauem Isolationsband. Das selbe Band verläuft in symmetrischem Streifenmuster über den ganzen Helm, mit der Absicht, die Alufolie an ihrem Platz zu halten. Dass dies nur bedingt gelingt, zeigt sich an den Seiten des Helmes. Unter zylindrischen Ausbuchtungen, die ich hier als Ohren bezeichne, ist die Folie zu guten Teilen zerrissen – der Blick auf wenig futuristisches Malerabdeckband ist frei.
Versteht es der Helm als herumliegendes Objekt wenn nicht bewundernde, so doch amüsierte Blicke auf sich zu lenken, ist sogleich bei der ersten Anprobe klar, dass sein Nutzen klein ist. Zu sehen ist nur etwas, wenn man den Kopf in den Nacken legt und auch dann nur das Unmittelbare gerade voraus. Zur stickig-stinkender Luft gesellen sich die mikroskopischen Partikel des bereits im Zerfallprozess befinden Polsterschaumstoffes. Ehe man sich versieht, steht man schon wieder unbehelmt und nach Luft lechzend da.
Die Assoziationen mit dem Objekt sind mannigfaltig: Mal erscheint das Bild eines fiktionalen Spacepiloten wie aus Star Wars oder Star Treck, dann fühlt man sich wieder an das Musikvideo zu Get Lucky erinnert. Überhaupt: Filmrequisit scheint das Stichwort zu sein. Der Helm kann als verbindendes Element von Filmindustrie und postindustriellem HyperWerk verstanden werden. In seiner gebastelten Kuriositätenkabinettaufmachung, die durchaus kritisch zu verstehen ist, scheint der Helm zu sagen: Auch Hollywood kocht nur mit Wasser.
#1 Der Zähler
Ein etwa backsteingrosser Kasten. Metallen und schwer. Am oberen Ende verjüngt er sich in einer Stufe auf die halbe Dicke. Drei unterschiedlich geformte Metalllaschen; eine oben, eine unten und eine mittig auf der linken Seite bieten Schrauben Halt, damit sie nicht zwecklos in der Wand stecken. Ein klobiger, von Flugrost befallener Schraubriegel hält den einem Jugendstilgewächshausdach nachempfundenen Deckel zu. Im unteren Drittel des Deckels ist ein etwa tassengrosses Loch in das schwarze Metall gestanzt und mit einer Glasscheibe wieder abgedichtet.
Hier findet vermutlich das Wesentliche statt: Ein Zifferblatt, dessen Einheit jene einer gewöhnlichen Uhr deutlich übersteigt, bietet diversen Zeigern eine Plattform. Drei auf eine Mittelachse gesteckte Zeiger mit je einem kleinen, senkrecht zum Zeiger stehenden Finger, der vielleicht eine manuelle Feinjustierung erlaubt, zeigen in drei Himmelsrichtungen. Am unteren Rand bietet ein roter Stachel externe Referenz. Oben rechts streckt sich ein weiterer, in der Spitze gelochter Zeiger, schräg auf das Zifferblatt. An einem Gelenk lässt sich sein tangentialer Winkel anpassen.
Löst man nun den Riegel und öffnet den Deckel, so präsentiert sich dem Betrachter eine komplizierte, aber definitiv antiquierte Konstruktion. Elektrik und Uhrwerk lassen das Ding, tun, was immer es tut.
Manche würden jetzt sagen, es wäre ein Zähler. Er zählte zum Beispiel all die fehlenden Bologna-Punkte, die nie erworben werden konnten. Oder jede nicht umgesetzte Idee. Die Liter an Kaffee, die täglich konsumiert werden. (Bier würde er aus moralisch-politischen Gründen nicht aufzeichnen.) Vielleicht zählte er aber auch einfach den Strom, also den elektrischen.
Ist es ein Überbleibsel aus dem Bockstecherhof, dem für uns gestorbenen Totentanz? Oder vertraute man anfänglich der Hochschulleitung und ihrer Fähigkeit zum gerechten Teilen nicht?
Welchem Zweck dieses Ding auch immer diente – es tut es nicht mehr. Ein paar Jahre lang lag es herum und verstaubte. Jetzt erhielt es noch einmal einen Moment der Aufmerksamkeit – und versank kurz darauf im Elektroschrott.
Über die Kolumne
Der Frühling ist eine tolle Sache. Blumen spriessen, Liebe knospt und am Himmel steht nur noch manchmal ein Wölkchen, das allerdings in zuverlässiger Zufälligkeit. Und – und jetzt stosse ich zum Kern vor – es gibt den Frühlingsputz!
Der Frühlingsputz! (Bitte mit grollender, vorahnungsschwangerer Stimme lesen.)
Für einen der deutschen Sprache nicht Mächtigen muss ja das Wort allein schon nach deutschschweizerischem Zivilgehorsam und eiserner Disziplin dröhnen. Dabei ist es einfach ein letztes verzweifeltes Aufbäumen der guten Neujahrsvorsätze, bevor sie mit mütterlicher oder väterlicher Zärtlichkeit in den Abyss geworfen werden. Oder über Bord.
Nun, ein solcher Frühlingsputz fand kürzlich am HyperWerk statt. Denn an einem Institut, wo täglich Neues produziert wird, manchmal bloss Gedanken, oft aber in fester Form, in Räumen, die von Studierenden gestaltet werden, lagern sich – als absolut logische Konsequenz – alle möglichen Dinge an. Das sind abgeschlossene, manchmal aufgegebene Projekte oder Materialien, aus denen einmal ein Projekt entstehen könnte. Eine Inspirationsquelle; ein Objekt, das erst in einer zukünftigen postindustriellen Gesellschaft seinen Wert offenbart. Manches ist auch einfach Müll.
Dann gibt es aber auch noch Dinge, von denen keiner sagen kann, welchem Zweck sie dienen oder wie sie den Weg ins HyperWerk gefunden haben. Von solchen HyperDingen soll in dieser Serie die Rede sein: