In einem einwöchigen Workshop mit Studierenden des HyperWerks auf einem verwaisten Bergbauernhof in der Steiermark haben wir versucht, Aspekte des Erhalts und der Neuerarbeitung unserer vertrauten zivilisatorischen und kulturellen Praxis zu leben. Gemeint ist, zu erforschen, welche Tätigkeiten, Gewohnheiten und Bedürfnisse sich unter den einigermaßen prekären Bedingungen einer Woche im Bergwald mit minimalem Komfort als haltbar und lebbar erweisen; welcher man dringend bedarf; welche man einfach ablegt; und welche sich – vielleicht ungeahnt – neu ergeben.
Die Situation hatte etwas Laborartiges, da wir uns freiwillig und planvoll in sie hineinbegaben, sie auch absehbar zeitlich begrenzt war und wir einige der Rahmenbedingungen gut steuern konnten. Wir nahmen Grundnahrungsmittel mit, geeignete Kleidung, Taschenlampen und weitere Campingausrüstung. Was uns aber fehlte, waren Strom und alle damit zusammenhängenden Einrichtungen (Licht, Wärme, Maschinen), elektronische Kommunikationsmittel, fließendes Wasser im Haus und weitere herkömmliche Hygienebedingungensowiedie gewohnten Strukturen der Zeiteinteilung. Und es gab keine Straßen, Geschäfte, Schulen, andere Menschen oder Rückzugsmöglichkeiten –außer dem Wald, in dem wir nur ungebetene Gäste waren. Und natürlich waren wir dem Wetter und den natürlichen Lichtverhältnissen deutlich stärker ausgesetzt.
Dafür eröffnete sich uns ein weites Betätigungsfeld in der Auseinandersetzung mit dem Ort und den vorhanden Dingen: in der Schaffung neuer baulicher Strukturen und der Erforschung ihrer Brauchbarkeit; im Umgang mit der ungewohnten dauernden Nähe zu den anderen Teilnehmenden des Workshops; in der Suche nach passenden Ausdrucksformen; im Erfinden und Ausprobieren der verschiedensten (oft primitiven und doch komplexen) Technologien bzw. der Umsetzung eines eher theoretischen Halbwissens aus Internet-Tutorialfilmen und Ratgeberbüchern (meistmit „Survival“ im Titel) in die Wirklichkeit; und natürlich in der Zubereitung des Essens und der Aufrechterhaltung der dazu nötigen Strukturen.
Die Ausrüstung mit Werkzeugen war absichtlich eingeschränkt: Es gab zwar Handsäge und Beil, Schaufel, Messer, Feuerzeug, Bohrer (mit genau zwei verschiedenen Bohreinsätzen), Hammer und Nägel, Schraubenzieher und Schrauben, Seil und Schnur –aber das war dann auch schon alles. Dazu kamen noch einige spezielle Werkzeuge: Wir hatten einen Satz Metallbuchstaben (Reste eines anderen Projekts), einen Soundrecorder, eine GoPro-ActionCam, eine normale Kamera sowie eine 3D-Panorama-Kamera dabei, aber ohne dass wir schon gewusst hätten, ob und wie wir das brauchen könnten. Und die üblichen persönlichen Kameras (Smartphones), die aufgrund der Umstände nur zum Dokumentierenverwendet werden konnten.
Anders war die Lage bei vorhandenen Dingen und Materialien. Ohne genau zu wissen, was wir vorfinden würden, wollten wir soweitwie möglich mit dem Vorhandenen arbeiten und nicht im Voraus planen, beschaffen, transportieren und verarbeiten.
Wir stießen auf Brenn- und Bauholz, einiges alt und verrottet, anderes neu und aus kürzlich stattgefundenen Projekten übriggeblieben. Auf Fall- und Schnittholz, auf Hinterlassenschaften der Waldarbeiter*innen und der früheren Bewohner*innen; auf die Vegetation, die im und um den Wald wuchs; und auf alles andere, was naturgemäß dort war, wie z. B. Steine, Erde, Lehm, Harz und Wasser.
Der Hof, der seiner Kleinheit wegen auch als Hütte bezeichnet werden kann, wurde vor über 50 Jahren verlassen, im letzten Jahr rudimentär instandgesetzt, mit Dach und Fenstern sowie einer Wasserfassung und einem Plumpsklo zehn Meter vom Haus. Vom jetzigen Pächter, dem gemeinnützigen Institut Triale, wurde der Hof nur minimal weiter ausgebaut; auch sein Interesse richtet sich auf Themen wie den Umgang mit dieser Art von Armut und auf die Frage, welche Lehren zeitgemäßes Design daraus ziehen kann.
Zu Beginn probierten wir die verschiedensten Tätigkeiten aus, ohne einen konkreten Auftrag zu formulieren. Die Konzepte ergaben sich aus den oben gestellten Fragen, die Auswahl der Themen eher aus den persönlichen Neigungen der Teilnehmenden. Die meist manuellen und körperlich oft anstrengenden Tätigkeiten in diesem Szenario veränderten schnell unsere Vorstellungen von Aufwand und Ertrag. Schon die Umgebung forderteeiniges an Kraft; es war oft dunkel, nass, kalt, steil, dreckig und fremd. Natürlich schien auch gelegentlich die Sonne, war die Aussicht prachtvoll, die Luft erfrischend und wurden unsere idyllischeren Erwartungen erfüllt – aber meist war die Realität etwas anderes als eine paradiesische Wildnis.
Es entwickelten sich in den ersten Tagen diverse Projekte, Vorhaben und Produkte, die ich hier in einer losen Liste aufführe:
- Wege begehen, benennen und aufzeichnen, den Ansatz einer Kartographie der Landschaft entwickeln
- Möglichkeiten der Wassernutzung probieren (Dusche bauen, Wasserfallmöblierung, Warmwasserheizung)
- Die Verwendung von Baumharz, Rinde und anderen leicht verfügbaren Naturstoffen prüfen
- Einen primitiven Lehmofen zu bauen versuchen (dazu musste Lehm ersteinmal gefunden und brauchbar gemacht werden)
- Pflanzen kennen lernen und auf ihre Essbarkeit, Geschmack, Sättigung prüfen
- Die Herstellung von Textilien aus wildwachsenden Pflanzen probieren
- Fallholz zu großen geometrische Formen fügen
- Eine Schaukel bauen und ihre Bedeutung in dieser Umgebung diskutieren
- Verschiedene Erdarbeiten versuchen – z. eine Grube graben und Steine als Befestigung verlegen
- Eine Sammlung der spezifischen Töne der Umgebung anlegen
- Distanz überwindende Signalschreie erfinden (oder wiederentdecken), üben und anwenden
- Den Umgang mit Abfall beobachten; angesichts des Mangels an z. Kunststoffprodukten Möglichkeiten eines alternativen Materialmanagements entwickeln
- Die Herstellung von Farben und Zeichenkohle probieren
- Die Herstellung von Kleidung und Schuhen aus verfügbaren Ressourcen probieren
- Den Umgang mit Zeit beobachten, eine Work-Life-Balance etablieren und ihre Korrekturmöglichkeiten testen
- Verschiedenen Kennzeichnungs- und Notationssysteme probieren
- Die Nutzung, Mehrfachnutzung und Umnutzung bestehender Ressourcen ( B. der Räumedes Gebäudes) erproben
- Erfundene oder angepasste Rituale (Disko, Andacht, Musik) entwickeln und anwenden
- Die eigene Rolle oder Aufgabe (und deren Veränderung) in der Gruppe sowie die der anderen beobachten und hinterfragen
- Routinen für wiederkehrende Aufgaben entwickeln
Manche dieser Themen und Tätigkeiten wurden nur schnell angetippt und dann beiseitegelegt, oft angesichts der Größe der Aufgabe, oft aber auch, weil (noch) keine Dringlichkeit sichtbar war. Die zeitliche Beschränkung unseres Aufenthalts war uns ja bewusst.
Andere entstanden erst später, nach einigen Tagen. Dadurch war das Spektrum der Versuche weit, und viele Grunderfahrungen wurden gemacht, die in unerwarteter Weise bei anderen Gelegenheiten wieder nützlich waren. Die freie Wahl der Themen machte den Teilnehmenden gelegentlich auch Mühe: Oft wurde ein Sinn, eine praktische Bedeutung von den Handlungen erwartet und war nicht immer sichtbar. In diesen Situationen waren Kommunikation, Austausch und Neubewertungen durch Danebenstehende oft hilfreich und ergaben weiterführende Gedanken und Entwicklungen. Auch ein theoretischer Bezug zu Prozessgestaltung und Design als den Studieninhalten in unserer gewohnten Umgebung konnte helfen.
Im Laufe einiger Tage entwickelten sich deutlich unterschiedliche Haltungen heraus, wobei die praktische Anwendbarkeit den einen Pol markierte. So wurde beispielsweise ein Wasserabfluss unterhalb des Straßenniveaus zu einem bequem erreichbaren Freiluft-Bad mit Dusche umgebaut. Was vorher ein Dreckloch gewesen war, wurde zu einer ansprechenden Terrasse mit Miniaturwasserfall. Die Arbeit, die ein einzelner Student trotz unserer Bedenken begonnen hatte, wurde je länger desto mehr in gemeinschaftlicher Arbeit ausgeführt und zu einem brauchbaren Ende gebracht.
Am anderen Ende der Skala befand sich eine Arbeit, die sich mit übergeordneten Bedeutungen, wie z. B.einer Historie der Tätigkeiten am Ort beschäftigte, die zwar weitgehend erfunden war, aber unserer Anwesenheit eine Art Sinn anbot.
Gemeinsam war uns allen die intensive Konzentration auf die Gegebenheiten des Ortes und die vorhandenen Mittel. Die Beschränkung, als die man die Kargheit zu Beginn empfand, und die Freiheit bei der Wahl eines zu erreichenden Ziels erwiesensich nach wenigen Tagen als befruchtend und beflügelnd.
Möglicherweise ist ein Workshop dieser Art – die Durchführung und Reflexionvon etwas, das man salopp auch als Abenteuerwoche im Wald bezeichnen könnte – als instruktive und bereichernde gestalterische Erfahrung nicht leicht messbar,und die Inhalte sind vielleicht nicht einfach und klar zu definieren, aber in der langfristigen Wirkung ist diese Veranstaltung gewiss nachhaltig spürbar. Hier wurden intensive Erfahrungen gemacht: Das, was etwas tut, kann wichtiger sein als das Wissen darum, was etwas ist.