«Hallo, Mensch aus dem Jahr 2325 – vielleicht fragst du dich, was Gefängnisse sind. Du lebst in einer Zeit, in der diese Institutionen nicht mehr existieren. Die Ära der Prison Times endete im 21. Jahrhundert. In einer fernen Vergangenheit jedoch waren Gefängnisse Orte, an denen Menschen eingesperrt wurden.
In jener Zeit waren öffentliche Räume streng überwacht – durch Kameras und Polizeistationen, die überall in den Städten präsent waren. Zusätzlich gab es psychiatrische Kliniken, in denen Menschen isoliert wurden. Auch Asylzentren für geflüchtete Menschen gehörten zu diesem repressiven System. Es war üblich, bestimmte Personen durch Staatsgrenzen ein- oder auszusperren; viele wurden an Grenzkontrollen abgewiesen und inhaftiert oder deportiert, wenn sie versuchten, diese Grenzen zu überschreiten.
Diese Überwachung war Teil eines umfassenden Systems von Kontrolle und Disziplinierung, das darauf abzielte, ein Gefühl von Sicherheit zu vermitteln. Doch grundlegende Bedürfnisse wie Essen und Wohnraum waren nicht für alle gedeckt und wer sich anders zu helfen wusste, wurde ebenfalls bestraft. Organisierten sich Menschen gegen diese Umstände und demonstrierten gemeinsam für ihre Rechte, wurden sie oft von der Polizei aufgehalten oder gar gewaltsam unterdrückt. Die Behörden kategorisierten Personen nach bestimmten Merkmalen und kriminalisierten sie. Diese Diskriminierung war nicht nur ein individuelles Problem; sondern Teil eines größeren gesellschaftlichen Systems.
Du fragst dich sicherlich, wie die Menschen damals akzeptieren und zusehen konnten, wie ihre Mitmenschen bestraft und gewaltsam eingesperrt wurden…»
Dieses Gedankenspiel bildete die Grundlage für das von Dezember 2024 bis März 2025 laufende Projekt «Prison Times». In diesem untersuchten wir repressive Strukturen und entwarfen, inspiriert von abolitionistischen Debatten, eine Zukunft ohne Gefängnisse.
Abolitionismus ist ein aktivistischer Ansatz, der für die Abschaffung punitiver Institutionen wie Gefängnissen oder polizeilicher Kontrolle plädiert. Ziel ist es, diese überflüssig zu machen, indem gemeinschaftliche Arbeit und kollektive Anstrengungen in den Mittelpunkt gestellt werden, um sichere Räume und alternative Lösungen für Konflikte zu schaffen. Es geht also darum, die bestehenden Systeme abzuschaffen, indem diese eine radikale Veränderung der Gesellschaft aufgebaut wird.
Wir sind eine Gruppe von Studierenden des BA Prozessgestaltung am HyperWerk der HGK Basel und hatten die Gelegenheit, mit Paul Schweizer sowie Francesca Cogni an der Ausstellung «Prison Times» in der Dropcity in Mailand teilzunehmen. Eine Woche vor Ausstellungsbeginn reisten wir nach Mailand. Die Zeit in der norditalienischen Metropole nutzten wir intensiv dafür, die auf verschiedenen Ebenen zu erfassen und uns mit unterschiedlichen aktivistischen Gruppen über deren Erfahrungen von Repression im aktuellen autoritären politischen Klima auszutauschen.
Das Workshopformat, welches wir hierfür seit Dezember 2024 entwickelt hatten, schlug eine kollektive Kartierung als Werkzeug vor, um gemeinsam die Räume der Kontrolle und Unterdrückung in unseren Städten zu untersuchen – Räume, in denen das Gefängnis nur die sichtbarste Architektur der geschichteten punitivistischen Logik unserer Gesellschaft darstellt. Dieses auf soziale Regulation durch Strafe gegründete System reicht von der Unterdrückung von Solidarität – etwa mit geflüchteten Menschen, mit Besetzer*innen oder mit der palestinensischen Bevölkerung – bis hin zur Blockierung der Bewegungsfreiheit und der Aufhebung grundlegender Menschenrechte durch Regierungsdekrete.Neben dieser, oft erschreckenden, Bestandsaufnahme der Gegenwart luden wir ein, gemeinsam Visionen von einer Zukunft ohne Gefängnisse zu entwickeln und Botschaften aus dieser abolitionistischen Zukunft zu senden.
Die gesammelten Erkenntnisse dieser kollektiven Beschäftigung fliessen direkt in unseren Beitrag zur Ausstellung in der Dropcity – dem weitläufigen Design- und Architekturspace unter den Gleisbögen des Mailänder Hauptbahnhofs – ein. Dropcity ist ein Ort, der nach alternativen Formen von Design und Architektur sucht. Hier soll Raum geschaffen werden, um zu erforschen, zu präsentieren, zu experimentieren und zu diskutieren. Thematisch ist die Anfang April 2025 eröffnete Ausstellung eng mit unserem Projekt verbunden und so haben wir die Möglichkeit, unsere Recherchen zu den repressiven Strukturen inmitten verwandter Arbeiten und gestalterischer Beschäftigungen zu präsentieren.
Als Projektgruppe erlebten wir einen vielschichtigen Wissensaustausch mit den Menschen in Mailand und sammelten wertvolle Erfahrungen. Fragen wurden aufgeworfen, gemeinsame Gedanken geformt, Antworten gesucht und abolitionistische Zukünfte imaginiert. Besonders freut uns, dass die Aktivist:innen, mit welchen wir den Workshop bereits durchgeführt haben, uns rückmeldeten, dass sie die Beschäftigung mit der von uns entwickelten Methode gerne weiterführen möchten. Aus diesem Anlass haben wir ein Zine gestaltet – als zugängliches Format für unsere Freund*innen in Mailand und alle, die aus abolitionistischen Visionen Hoffnung schöpfen möchten.
Projektgruppe: Mio B., Lotte-Mo Berkhan, Luana Capaul, Luzia Graf, Johanna Langner und Julia Sahli studieren Prozessgestaltung am HyperWerk der HGK Basel FHNW. Begleitet wurden sie in diesem Projekt von Filmemacherin und Künstlerin Francesca Cogni und Paul Schweizer, Dozent im Studiengang Prozessgestaltung am HyperWerk, HGK Basel und Teil von kollektiv orangotango.