Wie gestalten wir eine zukunftsfähige Lebensweise angesichts real existierender (ökologischer) Grenzen und (ökonomischer und sozialer) Ungleichheit? Wie kann ein guter Umgang mit der Welt aussehen? Im April 2015 wurden diese Fragen einmal laut und deutlich in aller Öffentlichkeit gestellt: Am stattutopie-Festival in der Markthalle Basel wurden während einer Woche Visionen, Ideen und Projektansätze für die Stadt der Zukunft gesammelt.
Das Projekt stattutopie versteht sich als soziales Experiment und setzt sich für mehr Mut und proaktive Gestaltung in der Stadt ein. Es versucht, Möglichkeitsräume der gemeinschaftlichen Diskussion zu schaffen, und erprobt prozesshaft verschiedene Beteiligungs- und Kommunikationsformate. Auf diesem Weg versucht es, die Bedeutung von Stadtplanung für eine nachhaltige Lebensweise sichtbar zu machen und ein Bewusstsein für die gemeinsame soziale Verantwortung zu entwickeln.
stattutopie gründet auf der Überzeugung, dass die aktuelle Welt der Krisen Ideen für neue Lebens- und Wirtschaftsformen braucht, welche die bisher erreichten zivilisatorischen und sozialen Errungenschaften erhalten und ausbauen, während sie dem Raubbau betreibenden Wirtschaftssystem und den weltweiten Menschenrechtsverletzungen eine radikale Absage erteilen. Dem urbanen Raum kommt hinsichtlich dieser Herausforderungen eine wichtige Rolle zu: Denn wie wir unsere Städte einrichten und deren Potential nutzen, ist eine Schicksalsfrage für eine zukunftsfähige Lebensweise. Schon heute teilen mehr als 50 Prozent der Weltbevölkerung die Stadt als Lebensraum, mit steigender Tendenz. 80 Prozent des globalen Ressourcenverbrauchs finden in städtischen Regionen statt. Je dringender soziale Belange, Ökologie und Ökonomie ihre Balance finden müssen, desto mehr muss die Stadtplanung auch in ihren sozialen und gesellschaftlich-politischen Dimensionen verstanden und ihnen entsprechend entwickelt werden. Stadtplanung hängt heute wie selten zuvor damit zusammen, in welcher Zukunft wir bald leben werden beziehungsweise leben wollen.
Es liegt darum sowohl in der Verantwortung als auch im Vermögen der Städte, ihrer PolitikerInnen und BewohnerInnen, das schöpferische Potential in der urbanen Diversität zu erkennen und neue Lösungsansätze und Methoden für eine zukunftsfähige (städtische) Lebensweise zu entwickeln. Dazu braucht es andere, mutigere Methoden und Stadtgestaltungsformate, die diese gesellschaftlich-sozialen Aspekte mit einbeziehen, sowie reale Räume, die ein prozessuales Experimentieren mit Zukunftskonzepten zulassen.
Das stattutopie-Festival war der Versuch, einen solchen Möglichkeitsraum des gemeinschaftlichen Diskurses zu eröffnen – eine offene Einladung an alle, die (urbane) Zukunft neu zu denken und mitzugestalten. Im Festivalprogramm wurden spezifische städtische Themen umkreist: Mit einer bunten Palette aus Wissenschaft, Kunst und Aktionismus wurden in Vorträgen, Workshops, Kino, Stadtinterventionen und Stadtspielen Fragen gestellt und Antworten gesucht. Teilnehmende aus beruflicher Praxis, Fachstudiengängen und anderweitig Engagierte haben zum Beispiel diskutiert, welche Wohnformen in Zukunft angemessen sein werden, was Bildung und Schule für eine nachhaltige Gesellschaft leisten müssen, oder wie das Verhältnis von Lohnarbeit und Freizeit neu zu gestalten wäre. In der Küche wurde derweilen experimentiert, wie man Lebensmittel länger haltbar machen kann, während in der Basler Innenstadt erkundet wurde, wie der öffentliche Raum geteilt und belebt werden kann. Schulklassen aus der Region haben Briefe an den Stadtpräsidenten geschrieben, ihre Wünsche für ihr Quartier gezeichnet und im Stadtspiel ihre fiktive Traumstadt aus Recyclingmaterial gebastelt. Die Visionswand zog auch zufällig vorbeigekommene PassantInnen an, und so entstand im Laufe der Woche ein buntes Chaos aus Wünschen und Ideen für eine nachhaltige Stadt der Zukunft. Die Referierenden ergänzten jeweils abends das breite Diskussionsspektrum mit Einblicken in ihre Gedanken und Arbeiten. Eingeladen waren zum Beispiel das „Zentrum für politische Schönheit“, das „raumlabor berlin“, der Basler Soziologe Ueli Mäder oder das „Zentrum für Karriereverweigerung“. Die Vorträge wurden vom Publikum mit viel Interesse und langen Fragerunden beantwortet – bevor dann vor oder nach den Kinovorführungen jeweils noch Zeit zu Austausch und Gesprächen blieb.
Alles in allem war das Festival eine lebendige und engagierte Sache. Die rund 600 BesucherInnen haben bewiesen: Die Arbeit an der Zukunft kann auch Spass machen. Sie kann als Chance, als freudig gestaltbare Aufgabe, als ernstgemeinte Angelegenheit verstanden werden, die schlussendlich alle etwas angeht. Und die uns über Altersgrenzen, national Grenzen, Sprachgrenzen und unterschiedliche Wertvorstellungen hinweg verbindet.